Station 3

Zeitschrift Menorah

Von 1984 bis 1995 hat die Jüdische Gemeinde Aachen die Gemeindezeitung „Menorah“ herausgegeben. Sie informierte über Termine und Neuigkeiten aus dem Gemeindeleben. Zum breiten Themenspektrum gehörten auch Artikel über die Jüdische Geschichte und Religion und die Geschichte der Jüdischen Gemeinde Aachens.

In der Ausgabe vom März 1991 findet sich dieser Artikel. Er ist ein Bericht über das Schicksal Alfred Löwendahls aus zweiter Hand.

Gerettet durch eine tapfere Frau

Das Schicksal Alfred Löwendahls, des ersten Vorsitzenden der Aachener Jüdischen Gemeinde nach dem Krieg

Alfred Löwendahls Schicksal, der den Krieg in Deutschland erlebte, kenne ich aus zweiter Hand. Er war ein wahrer Überlebenskünstler, aber ohne die große Liebe Hannis und ihrer heldenhaften Opferbereitschaft hätte er es wohl doch nicht geschafft, beim Einmarsch der Amerikaner in Aachen der erste Jude zu sein, der sie auf deutschem Boden begrüßte.

Alfred hatte Hanni Block 1937 oder 1938 auf einem Rheindampfer der Köln-Düsseldorfer kennengelernt. Er hätte sich da als Jude gar nicht befinden, noch weniger mit einem „arischen“ Mädchen (das noch dazu 25 Jahre junger war) einen leidenschaftlichen Flirt beginnen dürfen.

Er war eben furchtlos bis zur Waghalsigkeit und setzte die Beziehung fort, trotz der durch immer neue antijüdische Verordnungen wachsenden Hürden. Hanni war Büroangestellte in Aachen, und wenn er sie sehen wollte, musste er aus Köln anreisen. Zwar sah er nicht sehr „jüdisch“ aus, aber schon eine zufällige Ausweiskontrolle hätte für ihn das Ende bedeuten können. Ich weiß dies alles nur aus dem, was Hanni mir viele Jahre später erzählt hat, und ich kann sie heute nicht mehr fragen. Bei Ausbruch des Krieges ihr Verhältnis hatte sich zu einer innigen Liebesbeziehung entwickelt wurde Alfred zur Zwangsarbeit eingezogen; von da an lebte er von einem Tag auf den anderen unter dem Damoklesschwert der Deportation. Er fuhr immer noch, wann immer er konnte, nach Aachen. Im Zug vertiefte er sich ostentativ in den „Völkischen Beobachter“ und unterhielt sich angeregt mit seinen oft uniformierten Mitreisenden. In Aachen flanierte er dann oft als „der Herr Breuer aus Köln“ mit ihr durch die Straßen.

1942 kam der Tag, den sie seit langem hatten, kommen sehen: Alfred erfuhr. dass seine Deportation nur noch eine Frage von Tagen war. Seit langem hatte Hanni beschlossen, ihn bei sich in ihrer kleinen Wohnung zu verstecken. Er tauchte bei ihr unter, und sie hat ihn dann zwei Jahre lang. bis zur Zwangsevakuierung Aachens, mit durchgeschleppt. Über diese Zeit gibt es ein Tagebuch, das sich im Besitz der Familie befindet und auf das ich verweisen möchte; dort stehen gewiss viele Einzelheiten über ihr gemeinsames und trotz allem glückliches Leben in jener Zeit.

Eines muss man wissen: Diese junge Frau nahm nicht nur unzählige Entbehrungen und Mühen auf sich, um ihren Freund zu retten man denke nur an die enge Behausung, die Lebensmittelbeschaffung. Kleidung und Wäsche sie setzte immerfort ihr Leben aufs Spiel, denn auf dem. was sie tat, stand die Todesstrafe. Ich habe in den siebziger Jahren noch versucht, ihren Fall in Israel anhängig zu machen, damit ihr die Ehre zuteilwerde, die ihr gebührte, doch zu viel Zeit war schon verflossen, es ist alles im Sande verlaufen. Die Zeugen waren tot oder zu alt, und Hanni hatte keine Lust mehr. sich dem unvermeidlichen Papierkram zu unterziehen.

Hanni erzählte mir, dass der „Herr Breuer aus Köln“ jedes Wochenende aus seinem Versteck auftauchte und mit ihr, wie schon vor dem Krieg, in Aachen spazieren ging. Sie besuchten Gaststätten und benahmen sich wie ein normales Paar, so konnte er auch regelmäßig an die frische Luft. Einmal, in der letzten Phase des Krieges, fielen Brandbomben auf das Haus und im Obergeschoß brach Feuer aus. Dort wohnte die Hauswirtin, eine fanatische Parteigenossin. Was wäre aus Alfred geworden, wenn das Haus abgebrannt wäre? Die Katastrophe fand nicht statt, Herr Breuer, den ja alle Hausgenossen von seinen wöchentlichen Besuchen her, wenn auch nur oberflächlich kannten, war zufällig da und konnte den Brand löschen, wofür ihm die dankbare Eigentümerin bewegt ihren Dank aussprach.

Als Aachen evakuiert wurde, musste auch Hanni weg. Alfred blieb allein im Keller des verlassenen Hauses zurück. Es gab kein Licht mehr, beim Kerzenschein schrieb er in seinem Tagebuch und verbrachte so die wochenlange Belagerung; ans Tageslicht traute er sich kaum. Hanni hatte ihm all ihre Lebensmittel hinterlassen, und so überlebte auch er, bis die Amerikaner in Aachen einrückten.

Kurz danach konnten sie heiraten; die amerikanischen Behörden ernannten ihn zum Finanzdirektor von Aachen, und er scheint dieses Amt recht gut ausgeübt zu haben. Die beiden konnten nun endlich ein paar Jahre wie ein normales Paar zusammenleben, bis Alfred Anfang der fünfziger Jahre starb. Er wurde auf dem Aachener jüdischen Friedhof begraben, wo auch Hanni ihre letzte Ruhestätte zu finden hofft.

Ein Artikel von Johannes Mosel

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EIN ZEITUNGSARTIKEL ÜBER ALFRED LÖWENDAHL

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AACHEN IST EINE FRIEDENSSTADT

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DER PARAGRAPH 175

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